Giorgio Avanti, Jakobstage

Jakobs­ta­ge

Der Maler Gior­gio Avan­ti erzählt nicht eine, son­dern eine Viel­zahl inein­an­der grei­fen­der, mit­ein­an­der ver­zahn­ter Geschich­ten: ein Geschich­ten-Puz­zle.

Jeden­falls sucht die geneig­te Leser­schar ver­geb­lich nach so etwas wie einem roten Faden: Der ist – in einem kom­plex-zufal­len­den Geflecht von apho­ri­sti­schen Sen­ten­zen und bloss zum Schein chro­no­lo­gisch geord­ne­ten Frag­men­ten – nur halb­ge­spon­nen. Ver­spon­nen.

Natür­lich weiss der Erzäh­ler, dass er spinnt und flicht und flun­kert, wie jeder, der dem, was ihn und ande­re umtreibt, zuschaut und es – amü­siert und sar­ka­stisch und irgend­wie los­ge­löst – auf­schreibt.

Solch gelö­ster Hal­tung scheint denn auch Avan­tis Spra­che zu ent­sprin­gen: Von Klan­g­as­so­zia­tio­nen und unge­stü­men, wort­spie­le­ri­schen Ein­fäl­len vor­an­ge­trie­ben, wirkt sie – dia­lek­tal ein­ge­färbt und in nach-haken­der Syn­tax – unver­blümt, pol­ternd und eigen­sin­nig in des Worts Bedeu­tung. Und quillt nach­ge­ra­de über von wil­den, quer­ste­hen­den Kon­ta­mi­na­tio­nen und even­tu­al­vor­sätz­lich schie­fen Bil­dern – ver­spielt eben, aber scharf und immer bos­haft treff­si­cher.

Guy André Mayor

Bei Rotem und Salat
«Wo du nicht bist, oh Orga­nist, / da schwei­gen wohl die Pfei­fen.» Die­ses lako­nisch-orgeln­de Zitat des Malers Rai­ner Kunz bil­det den Auf­takt eines nicht min­der pol­tern­den Buchs, das in Form eines harm­lo­sen Jour­nals daher­kommt: Mit «Jakobs­ta­ge» legt der 62-jäh­ri­ge Tes­si­ner Maler und Skulp­teur Gior­gio Avan­ti jetzt sein Début als Schrift­stel­ler vor – und einen unge­stü­men Text um eine Figur namens Jakob, die in aller­lei schwie­ri­ge Frau­en­ge­schich­ten, Kunst­fra­gen, Rei­sen und immer wie­der in aus­ufern­de def­ti­ge Tafel­freu­den mit Freun­den ver­strickt wird. Da wird denn fröh­lich, alko­ho­lisch oder auch mit exi­sten­zi­el­lem Herz­schmerz bei viel Rotem und wenig Salat über Gott, das Insich­sein und den Tod sin­niert, wobei immer wie­der wip­pen­de Klan­g­as­so­zia­tio­nen auf­schies­sen, gewag­te Wort­spie­le­rei­en und Meta­phern, die dem Buch sei­nen sper­ri­gen, eigen­wil­li­gen Cha­rak­ter ver­lei­hen mit Sät­zen wie: «Die Aus­weg­lo­sig­keit, sie ver­brei­tet sich wie der Duft eines nahe­zu fer­tig gebacke­nen Streu­sel­ku­chens, der nicht ganz auf­ge­hen will.»

13. Sep­tem­ber 2008, Neue Zür­cher Zei­tung

ars pro toto, Luzern, ISBN 978-39523089-5-0