Mal her, mal hin – gemalte Wochenpost
Analog im Dialog
Immer wieder freitags …
Seit mehr als zwei Jahren arbeiten Andrea Leisinger und Giorgio Avanti einmal wöchentlich gemeinsam im Atelier «arteandrea» in Cham. Dort experimentieren die beiden Kunstschaffenden mit Farben, Formen und Figuren, tüfteln an Porträtstudien, erproben Mal- und Mischtechniken, freuen sich über gelungene Entwürfe, belächeln misslungene Skizzen und sinnieren bei einem Campari-Soda über Kunst und die Welt.
Ab die Post!
Einer spontanen Eingebung folgend begann im Frühjahr 2019 zwischen Andrea Leisinger und Avanti ein Dialog der besonderen Art. Ein Kunstkartenprojekt, das lediglich an zwei Kriterien gebunden war: Die Ansichtskarten sollten das Format A6 aufweisen und einmal wöchentlich per Post ausgetauscht werden. Es entstand ein bunter Freiraum für Ein- und Ausblicke, Sehweisen, Ansichten – zwischen Walchwil und Cham, dem Gardasee und Sardinien, Blaustern und Beinbruch, Osterhase und Oktoberblues. Ein «Kartenspiel» also, durch das zwei ureigene Künstleridiome in einen Dialog getreten sind, um die Bilderwelt des anderen zu entdecken. Anfangs 2020 veröffentlichten die beiden Kunstschaffenden die gesammelte Wochenpost in Buchform unter dem Titel «mal hin, mal her».
Kartenspiele in den Zeiten von Corona …
Das vergangene Jahr hat uns alle in ungeahnter Weise gelehrt, Verzicht zu üben, Einkehr zu halten, den Courant normal zu hinterfragen. Plötzlich stand die Zeit scheinbar still. Auch liebgewonnene Gewohnheiten mussten pausieren. Dazu gehörten die wöchentlichen Malstunden, das konzentrierte gemeinsame Arbeiten, die anregenden und inspirierenden Gespräche über das Erarbeitete sowie – naturgemäss – der wohlverdiente Halbzeit-Campari-Soda.
Imagine …
Was inzwischen zu einem regelrechten Lockdown-Boom geworden ist, das handschriftliche Verfassen von Briefen und Karten, war dank der wöchentlichen Kunstkarten-Post bereits bestens etabliert. Nahtlos setzten die Kunstschaffenden auch 2020 ihren Ansichtskarten-Austausch fort und blieben so analog im Dialog. Die Sujets entstanden nun nicht mehr vor Ort in Sardinien oder am Gardasee. Gemalt und gezeichnet wurde im eigenen Blumengarten, am häuslichen Esstisch, aus der Erinnerung, der Imagination und Sehnsucht. Ein oft humorvoll gemaltes Her und Hin also – ein Mikrokosmos im Wandel der Jahreszeiten, Echo von Orten und Stimmungen, Sinnbild alltäglicher Gedanken, Spurensuche in Flora und Fauna. Vielleicht sind die Wochenpost-Motive im vergangenen Jahr ja gerade durch die Einschränkungen etwas blumiger, expressiver, suggestiver geworden. Wer weiss? «Denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.» (Schiller) – Und diese Freiheit liessen sich die beiden nicht nehmen. Einzig das Format vergrösserte sich in diesem zweiten Jahr von A6 auf A5.
Perspektivenwechsel: in eigener Sache …
Beide freuen wir uns darüber, dass es uns gelungen ist, diese kleine Verbindlichkeit während weiterer 53 Wochen fortzusetzen, uns gegenseitig einen gemalten Kartengruss zu senden. Inzwischen hat sich auf diese Weise eine Portion zusätzliche Kreativität in unsere Wochenabläufe eingefügt, die uns zahlreiche Überraschungen bescherte. Im Verlauf der Zeit ist so manches Kleinod entstanden, welches stets mit freudiger Spannung aus dem Briefkasten geholt wurde. Das wöchentliche spontane Kreieren einer Karte in der eigenen Bildsprache genauso wie das Wissen darum, bald wieder eine persönliche Ansichtskarte in den Händen zu halten, tröstete uns über die ausgefallenen Malstunden hinweg und spornte uns zu weiteren inspirierenden Kartensujets an. Eine Kommunikation, die trotz fehlender persönlicher Begegnung unmittelbar, direkt und lustvoll geblieben ist. Gelegentlich wurde ein Element aus der erhaltenen bildnerischen «Kalendergeschichte» aufgegriffen, verwandelt oder in ergänzender Weise ganz anders dargestellt. Metamorphose und Perspektivenwechsel im Taschenformat.
Ein Fall für zwei …
Unsere erste gemeinsame Ausstellung im KunstKiosk Baar mussten wir mehrmals verschieben. Am 15. Mai 2020 war es endlich so weit: Unter dem Titel «mal klein, mal gross» zeigten wir im winzigen Raum des KunstKiosks kleinformatig Grosses und Bilder aus dem Innern. Mit den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung führten wir im beschaulichen Platanenpark heitere oder tiefschürfende Gespräche, probten Social Distancing und den korrekten Sitz von Hygienemasken. Mitten im Frühling war dies ein gelungener Schritt in die (neue?) Normalität.
«petites fugues»
Im vergangenen Sommer konnten wir den wöchentlichen Malunterricht wieder mehr oder weniger regelmässig aufnehmen. Es tat uns gut, den Kontakt als Künstlerfreunde in dieser Form erneut zu pflegen. Und wir waren beide dankbar für die «petites fugues» am Freitag, die neben der gemalten Wochenpost zu einer wesentlichen Konstante in unserem Künstlerkosmos geworden sind.
Andrea Christina Leisinger und Giorgio Avanti, April 2021
Edition Gibelmatt, Walchwil, ISBN 978-3-033-08488-9